Philipp von den Mirabellen
Grau
Trüber Himmel
Im Winter matschig
Wer wohnt freiwillig hier?
Attendorn
Zufrieden begutachtete Linda ihr Werk. Das Elfchen stellte ihr Bild von
Attendorn ganz gut dar. Die Gedichte brauchte sie, um den Ärger übe den
Umzug Luft zu machen. Ansonsten würde sie wohl zugrunde gehen. Ächzend
erhob sie sich aus ihrem weinroten Schreibtischstuhl, in dem sie mal
wieder für nahezu drei Stunden gesessen hatte. Trotz der durchgesessenen
Sitzfläche war der Stuhl für Linda der bequemste Ort auf Erden. Dort
fühlte sie sich sicher und geborgen, konnte stundenlang in ihrer eigenen
Welt versinken. Etwas anderes gab es in diesem Kaff ja auch nicht zu
tun. „Linda!“, rief ihre Mutter, „gehst du noch mal mit Herr Pudel?“ Auf
rein gar nichts hatte Linda weniger Lust, als mitten im November um 20
Uhr noch mal mit dem Hund zu gehen. Aber es musste ja sein. Also lief
sie die Treppe herunter, schnappte sich die Leine vom Haken und rief den
Hund, der auch sofort angeflitzt kam. „Er fühlt sich hier pudelwohl“;
Dachte Linda resigniert und musste gleichzeitig über das Wortspiel
schmunzeln. Seufzend leinte sie Herr Pudel an und trat hinaus auf die
Straße. Sie wollte die Runde so schnell wie möglich hinter sich bringen,
doch der Hund war anscheinend anderer Meinung. Hingebungsvoll
schnüffelte er minutenlang an den Hinterlassenschaften anderer Hunde,
bis er endlich selbst das Beinchen hob. „Jetzt mach schon! Ich will nach
Hause!“ brummte Linda.
„Wohin des Weges, junge Dame?“ Wie aus dem
Nichts stand plötzlich ein Mann vor ihr. Während er sprach, versuchte er
krampfhaft die Falten seines altmodischen Anzugs mit den Händen zu
glätten und setzte sich schließlich eine schwarzen Zylinder auf den
Kopf. Linda wusste, dass sie längst hätte weglaufen müssen, doch die
Beine verweigerten ihr den Dienst. Also blieb sie stehen und sagte gar
nichts.
„Willst du dich nicht vorstellen?
Gut, dann fange ich an.
Ich bin Philipp von Mirabellen,
Und ich weiß, das hört sich seltsam an.
1810 ist mein Geburtsjahr,
Jetzt erschrick nicht,
Es ist doch alles ganz klar.
Oohh, dieser Regen raubt mir die Sicht!
Und noch einmal die Frage: Wohin des Weges, junge Dame?“
Linda konnte sich immer noch keinen Zentimeter von der Stelle rühren.
Aber das wollte sie auch gar nicht. Irgendetwas beruhigendes ging von
dem Fremden aus und sie hätte am liebsten alles erzählt. Und aus einer
Laune heraus tat sie es dann auch.
Alles vertraute sie ihm an: Den
Frust über Schule, Familie und verlorene Freunde. Doch am meisten über
Attendorn. Kaum hatte sie zu Ende gesprochen, hätte Linda sich am
liebsten selbst geohrfeigt.
Was fiel ihr eigentlich ein, einem
wildfremden, offensichtlich geisteskranken Mann all ihre Sorgen zu
erzählen? Doch er ging gar nicht weiter darauf ein und sagte nur:
„Dreh doch mit mir eine Runde.
Attendorn ist wunderschön
Auch zu fortgeschritt’ner Stunde.
Du wirst schon sehn!“
„Seine Reime sind wirklich katastrophal.“ dachte Linda sich. Und
trotzdem (oder gerade deswegen) vertraute sie Philipp irgendwie.Und ehe
sie sich versah lief sie ihm, den Hund an der Leine, hinterher, denn
mittlerweile war er schon ein ganzes Stück weitergegangen.
„Bieketurm, Bigge, Dom,
Attahöhle, City-Center.
Wen kümmert Berlin schon?
Hier ist doch alles wunderbar!“
„Mittlerweile kann man kaum noch von Reimen sprechen.“ Dachte Linda,
hielt jedoch den Mund. Aber wenn sie es sich recht überlegte, stimmte
es, was Philipp sagte: Attendorn war bei Weitem nicht so weltfremd wie
manche anderen Städte. Sie hätte es wirklich schlechter treffen können.
Jugendzentrum, Karneval,
Höhlenkäse, Hansestadt.
Selten gibt es hier Krawall,
Obwohl viele Events finden statt.“
„Reim dich oder ich fress dich!“ schien Philipps Lebensmotto zu sein.
Das war ja grauenhaft. Aber der Inhalt... so verkehrt war das ja alles
nicht.
„Ich hoffe, ich hab dir geholfen,
Es gibt hier wirklich viel zu sehen.
Doch so leid es mir auch tut,
Ich muss jetzt gehen.“
Und schon war er verschwunden. So schnell, wie er gekommen war. Linda
blieb stehen. Was war nur mit ihr los? Jetzt bildete sie sich schon
Geister ein, die versuchten, Ihr Attendorn ein bisschen näher zu
bringen. Lächerlich! Aber irgendwie sah sie die Stadt jetzt doch mit
anderen Augen.
Als sie durch die regennassen Straßen zurück nach
Hause ging, fiel ihr auf, dass die Straßenlaternen in der Altstadt
wunderschön waren.
Herr Pudel zerrte ungeduldig an der Leine.
von Laura Grabowski
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